Den nächsten Kanzler stellen, das ist das Ziel der SPD. Viele Chancen, dies zu erreichen, die Wähler von sich zu überzeugen, haben die Sozialdemokraten und ihr Spitzenkandidat nicht mehr. Die letzte Gelegenheit dafür wird wohl das Fernsehduell kurz vor der Wahl sein. Aber wer kann von diesem medialen Event profitieren? Die TV-Sender sicher, die SPD vielleicht, der Zuschauer aber wohl kaum.
Vorbild für das »Kanzler Duell« sind die »Presidential Debates« in den USA. 1960 wurde das Rennen um das Weiße Haus mit einem direkten Aufeinandertreffen von John F. Kennedy und Richard Nixon im damals neuen Massenmedium Fernsehen erweitert. Seit 1997 werden diese TV-Debatten auch hierzulande ausgestrahlt: Beim Wahlkampf um die Bürgerschaft in Hamburg sowie um der niedersächsischen Landtag. Hier sammelte auch Gerhard Schröder diesbezüglich erste Erfahrungen. Vor diesem Hintergrund forderte der spätere »Medienkanzler« bereits 1998 Helmut Kohl heraus. Jedoch ließ sich dieser nicht darauf ein. Erst 2002 kam es zu einem »Kanzler Duell«. Zwei Mal debattierte Schröder mit Edmund Stoiber, 2005 ein Mal mit Angela Merkel. Dass sich das Format erst so spät etablieren konnte, lag unter anderem an den wenig medial versierten Politikern der Bonner Republik. Auch dieses Jahr kommt es höchstwahrscheinlich wieder zu solch einem Fernsehduell. Merkel versus Steinmeier wird ein oder vielleicht zwei Mal über die Bildschirme flimmern. Während Merkel nur abwarten und reagieren braucht, muss Steinmeier agieren und deutlich machen, dass er der bessere Kanzler wäre. Dieses Ziel ist hoch gesteckt, jedoch würde vor allem einer davon profitieren – der Wähler.
Dieser bekommt nämlich nicht mehr viel von anderen TV-Auftritten der Politprominenz geboten. Wenig neue Information, stets wiedergekaute Allgemeinplätze, inhaltsarme Sprachfüllsel. Da verspräche eine Fernsehdebatte schon mehr. Es ist das einzige Aufeinandertreffen der beiden aussichtsreichsten Kandidaten und die am stärksten zugespitzte Form der politischen Diskussion. Das »Kanzler Duell« ist wichtiger Bestandteil des Wahlkampfes geworden und der Wähler kann hierdurch einen direkten Vergleich der Programme und Personen kurz vor dem Urnengang bekommen. Positiv für die Kandidaten und auch die Sender ist die Reichweite des Spektakels. Nirgends sonst erreichen Politiker rund 15 Millionen Zuschauer wie im Jahr 2002 oder rund 21 Millionen wie im Jahr 2005. Politische Botschaften können unmittelbar, relativ ausführlich und größtenteils unbearbeitet – bis auf etwaige Steuerungsversuche durch Fragen der Moderatoren – präsentiert werden. Jedoch ähnelten die bisherigen Debatten zu sehr dem Stil einer Pressekonferenz. Vor allem, weil die Kandidaten kaum miteinander diskutierten. Der Zuschauer bekam somit kein wirkliches Streitgespräch zu sehen.
Fader Vorgeschmack
Trotz des hohen Potenzials wurden die bisherigen medialen Streitgespräche nur interessant, wenn auf Konfrontation gegangen wurde. Dabei ist vor allem Gerhard Schröder als Glücksfall für den Zuschauer anzusehen. Bissig, charmant und siegessicher präsentierte er sich und attackierte seine jeweiligen Kontrahenten gekonnt. Ein gelegentliches süffisantes Lächeln rundete seine Performance ab. Demgegenüber standen Stoiber, der besonders im ersten Aufeinandertreffen recht unsicher wirkte und mit Zahlenkolonnen jonglierte, und Merkel, die farblos und wenig angriffslustig war, jedoch souveräner auftrat als vermutet.
Das Duell 2009 wird zwischen der Kanzlerin und ihrem Vize ausgetragen – zwei Personen, die nicht gerade mit rhetorischer Süffisanz ausgestattet sind. Was erwartet den Zuschauer der geplanten TV-Debatte also in diesem Jahr? Ein Gespräch der Regierenden, ein Wortgefecht unter Kollegen oder etwa wirklicher Kampf um die Wahl? Es wird Steinmeiers letzte Chance sein, das Ruder herumzureißen. Der Sozialdemokrat müsste viel wagen um etwas zu gewinnen – was besonders für den Wähler vielversprechend wäre! Jedoch interessiert dies nicht, denn dieser wird vorrangig als Konsument gesehen. Wie das Duell im September abläuft, regeln nämlich die Parteien und Sender unter sich. Der Bürger ist zum Zuschauen verdammt.
Einen ersten Vorgeschmack auf das diesjährige Wahlkampfereignis brachten bereits andere Formate. Merkel stellte sich in einem »Town Hall Meeting« bei RTL, um ihre Bürgernähe und Fachkompetenz unter Beweis zu stellen. Wenige Tage später war Steinmeier mit seiner Frau
im ZDF bei Kerner zu Gast. Hier sollte seine menschliche Seite herausgekehrt werden. Merkel blieb sich treu und zeigte sogar etwas mecklenburgischen Charme im Gespräch mit dem Bürger. »Angenehm deutsch«, fasste die FAZ das leider zu durchgeplante Gespräch mit vorausgewähltem Publikum – unter anderem ein Opelaner, die Mutter eines Winenden-Opfers, ein Jungarbeitsloser – zusammen. Ähnlich verlief auch ihr Zwiegespräch mit Maybrit Illner. Von Steinmeier erfuhr der Zuschauer bei Kerner wenig inhaltlich Neues, dafür etwas Privates, auch durch seine Frau Elke Büdenbender. Dennoch sprachen die Medien weiterhin von bürokratischer Steifheit, »die Anti-Obamas« kommentierte Spiegel Online. Am Abend der Wahl zum Europäischen Parlament erhielt der Sozialdemokrat eine weitere Chance. Anne Will hatte geladen. Jedoch agierte Steinmeier nicht als krisenfester Staatsmann, sondern als schmallippiger Wahlverlierer. Wenig Kampf in einer schweren Stunde! Steinmeier hätte sich in diesem Punkt an Schröder orientieren sollen. Dieser hatte über die Niederlage seiner Partei am Wahlabend 2005 schon Gewissheit, trotzdem gab er sich in der Elefantenrunde kämpferisch: »Sie [Angela Merkel] wird keine Koalition mit meiner sozialdemokratischen Partei hinkriegen, das ist eindeutig. Machen sie sich da gar nix vor.« So werden sich aber weder Merkel noch Steinmeier im bevorstehenden Wahlkampf geben. Die eine, weil sie es nicht muss, ob des guten Polsters in den Umfragen, der andere, weil er es noch nicht wirklich beweisen konnte.
Veränderungen nötig
Um die Bedingungen eines »Kanzler Duells « zu nutzen, braucht ein Kandidat Substanz und Stil. Also zum einen Fachwissen, zum anderen die Fähigkeit, durch Reden und Charisma das Publikum von sich zu überzeugen. Dass beide nach vier Regierungsjahren gut vorbereitet sind, steht außer Frage. Jedoch bleibt offen, ob sie mit Rhetorik brillieren oder ihre mediale Performance ähnlich stark wie die von Schröder sein wird.
Soll der Wähler jedoch wieder mehr Information statt Unterhaltung geboten bekommen, muss sich auch einiges an den TV-Debatten selbst ändern. In erster Linie wäre dies die Organisation. Nicht mehr Parteien und Sender sollten festlegen, wann, wo und wie diskutiert wird, sondern eine unabhängige Kommission sollte sich auf die Rahmenbedingungen einigen. Hierdurch könnte gewährleistet werden, dass die Duelle weniger als Plattform zur Präsentation der Personen, denn als Informationsportal für den potenziellen Wähler fungieren. Somit könnte höhere Bürgermitwirkung bei den Debten gewährleistet werden. Das »Town Hall Meeting« von Merkel gab einen ersten Einblick, wie es gehen kann. Wenn der Bürger direkt fragt und auch nachfragt, wäre die Wahrscheinlichkeit weniger vorbereiteter Antworten höher als jetzt. Um aktuell weniger relevanten Themen abseits des Wahlkampfes mehr Platz einzuräumen, wäre mehr als ein Duell zwischen den Kandidaten förderlich. Bei nur einer Auseinandersetzung besteht zusätzlich die Gefahr, dass wenig informierte oder noch unentschlossene Wähler ihre Entscheidung von der Tagesform der Kandidaten abhängig machen. Da am 27. September Parteien und nicht Personen gewählt werden, wäre es förderlich, wenn auch die drei kleineren Parteien eine solche Plattform zur Verfügung gestellt bekämen, um ihre Programme gegenüberzustellen. Die ARD plant deshalb ein Aufeinandertreffen der Spitzenkandidaten von Grünen, FDP und Linkspartei.
Egal wie oft oder mit welchen Rahmenbedingungen das »Kanzler Duell« in diesem Jahr inszeniert wird, klar ist: Steinmeier muss angreifen. Dass in ihm ein Kämpfer steckt, zeigte er bereits beim Wahlkampfauftakt im Tempodrom oder bei seiner alle, selbst die Journalisten, mitreißenden Rede auf dem Programmparteitag Mitte Juni. Kann er dies auch im TV-Duell umsetzen, würde neben der SPD vor allem der Zuschauer davon profitieren.