Schreibstil im Journalismus: Was DER SPIEGEL von der New York Times lernen kann

„Die SPIEGEL-Sprache muß man lernen, sie ist keineswegs simpel, sondern höchst barock, sie kokettiert mit ihrer eigenen Gewitztheit, mit rasch applizierter Terminologie, mit Modewörtern, mit dem Slang der Saison.“

Hans Magnus Enzensberger, 1957

Spiegel-Chefradakteur Wolfgang Büchner kündigte Anfang Dezember 2013 einige Änderungen beim Hamburger Nachrichtenmagazin an, auch „Projekt Eisberg“ genannt. Im Meedia-Artikel, der die Maßnahmen zusammenfasst, steht dazu als letzter Satz: „Ein Team soll sich offenbar auch um die legendäre Spiegel-Sprache kümmern, die künftig mehr ‚auf Augenhöhe‘ mit den Lesern klingen soll.“

Die New York Times hat vor kurzem vorgemacht, wie so etwas aussieht. Die Tageszeitung unterzog ihren Leitlinien für Schreibweisen die umfangreichsten Veränderungen seit 1999 und passte sie modernem Sprachgut an. Vor allem führte die NYT neue Schreibweisen für Begriffe, die aus dem Online-Bereich stammen, ein.

„Die Änderungen sind meist maßvoll“, schreibt Journalist Philip B. Corbett im NYT-Blog. Sie würden nicht das Publikationsziel aufweichen, „weitestgehend frei von Jargon, Zeitungsstil, Slang und Schlamperei“ zu sein. Corbett begründet die Änderungen damit, dass viele Leser im Jahr 1999 nicht mit Online-Medien und deren spezifischen Begriffen vertraut waren. Weder das iPhone, noch das iPad gab es damals. Und Blogs nannten die NYT-Autoren vor 14 Jahren noch „Web logs“.

New York Times als Vorbild – journalistische Schreibweisen im Wandel der Zeit

Die folgenden drei Beispiele sollen darstellen, wie weit die NYT bei den Änderungen ihrer journalistischen Leitlinien gegangen ist.

Aus „E-Mail“ wird „email“: Der Bindestrich fällt weg und das Wort wird kleingeschrieben, wodurch es nicht mehr als zusammengesetzte Sonderform hervorgehoben wird. Die neue Schreibweise wird dem alltäglichen Sprachgebrauch gerechter. Ähnlich verhält es sich mit „World Wide Web“, das nun als „web“ bezeichnet wird. Die Schreibweise „World Wide Web“ verwendet die NYT nur noch in „historischen Bezugnahmen“.

Die NYT erkennt „to tweet“ als Verb an. Im Deutschen würde damit aus dem Satz „Er äußerte sich auf dem Kurznachrichtendienst Twitter.“ zu „Er hat getwittert.“ Der 140-Zeichen-Nachrichtendienst gilt für die NYT somit als Allgemeinverständlich. Jedoch erkennt das Blatt dies nicht für „to google“ an – außer es wird in Zitaten verwendet.

Akronyme wie „LOL“ oder „OMG“ sind in bestimmten Fällen erlaubt. LOL steht für laughing out loud  (deutsch: lautes Lachen) und stammt laut Duden aus dem „EDV-Jargon“. Die Abkürzung trat zuerst in Chats und Foren auf, ging dann im Englischen auch in den mündlichen Sprachgebrauch über. Und nun nutzt die NYT sie ebenfalls.

The Wire: NYT-Sprache im 21. Jahrhundert angekommen

Das Magazin „The Wire“ schrieb, dass der journalistische Schreibstil der New York Times damit im 21. Jahrhundert angekommen ist. Die angekündigten Änderungen des Spiegel werden sicher schwächer ausfallen. Unwahrscheinlich ist, dass ein Spiegel-Autor bald das Wort „Email“ schreibt. Jedoch würde dies dem deutschen Sprachgebrauch gerechter. Denn das Wort E-Mail nutzt die Masse der Deutschen heutzutage selbstverständlicher als noch vor 14 Jahren – und dies gilt sicher ebenso für Spiegel-Autoren.

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9 Gedanken zu “Schreibstil im Journalismus: Was DER SPIEGEL von der New York Times lernen kann

  1. Wieso soll „Email“ besseres Deutsch sein als „E-Mail“? Ich bin 25 Jahre alt und demzufolge mit den neuen Medien aufgewachsen und finde die Variante mit Bindestrich besser. Bin ich schon zu alt?

    • Das hat nichts mit besser oder schlechter zu tun. Ich finde, dass die Variante ohne Bindestrich mehr dem alltäglichen Sprachgebrauch gerecht wird. Mittlerweile schreibt fast jeder Deutsche E-Mails. Daher muss man das Wort kaum mehr jemandem erläutern.
      Der Bindestrich lässt das Wort m.E. nach wie eine Sonderform aussehen. Als die E-Mail aufkam, musste man dieses neue Medium und die Zusammensetzung natürlich erläutern. Heutzutage ist dies meiner Meinung nach nicht mehr nötig, da die E-Mail zu einem alltäglichen Kommunikationsmittel geworden ist, das man in der Schreibweise nicht mehr als Sonderform oder englischsprachige Zusammensetzung kennzeichnen muss. „Email“ wirkt selbstverständlicher.

      • Okay, jetzt habe auch ich die Argumentation verstanden. Aber demnach dann auch Eckarte, Hmilch, Sbahn, Dzug?

      • Wenn man es konsequent weiterdenkt, dann schon. Obwohl einiges davon NOCH befremdlich wirkt. Sbahn oder Hmilch, damit könnte ich leben. Obwohl bei „Eckarte“ der Lesefluss etwas holprig ist.

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